Weil ich nicht wie andere Bule’s (Bule sind weisse und gelbe Ausländer) in einer Villa mit AC, Pool und Security lebe, sondern in Pulsnähe mich bewege, das heisst, in täglichem Kontakt mit „gewöhnlichen“ Einheimischen bin, kann ich etwas davon erzählen, was die Leute hierzulande an Ueberlebenssorge umtreibt.
Ich stelle zwei mir vertraute Fälle vor.
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Nennen wir den Mann Ma.
Er stammt von einer Nachbarinsel und arbeitet auf dem Bau. Ich kenne ihn seit fünf Jahren, bei meiner Bauerei war er meist mit dabei. Er ist nicht der allerbeste Arbeiter, einen Plan zu lesen ist er nicht imstande (das können auch sehr gute Bauleute nur mit Mühe), doch arbeitet er umsichtig, fleissig und schnell. Er ist mir schon lange Zeit ein guter Kumpel, wir lachen uns über uns und über das Leben immer mal krumm.
Er ist verheiratet und hat das gemacht, was hier so gut wie alle fleissig machen: Kinder auf die Welt stellen. Früher auf dem Lande galt: Viele Kinder sichern die Existenz. Heute gilt: Kinder zeugen ist nicht schwer, Kinder haben jedoch…Tja, nun hat er deren Dreie und das beginnt gehörig anzuhängen, dem Geldbeutel nämlich. Wenn sie nächstens dann zur Schule gehen sollten, dann wird der Strick erst richtig zugezogen werden.
Wenn ein Bauherr einen guten Arbeiter wie Ma grosszügig entlöhnt so sind das €8.- / Tag, also etwa 190.-/Monat. Ein Kilo Reis kostet €1.50. Eine Wohnung aus unverputztem Betonbaustein und nacktem Asbestdach mit 8m2 und GemeinschaftsWC ausserhalb kostet 30.- / Monat. Eine 12m2 Wohnung, welche sauber zu halten ist, 60.-/ Monat. Würde jemand 40m2 beanspruchen (keiner kommt auf die verrückte Idee, aber ein Westler kann sich schwer vorstellen, zu fünft in 8m2 zu hausen), wäre die Miete bei 150.- / Monat, der Lohn wäre damit so gut wie weg.
So.
Vor einer Woche traf ich Ma und ich freute mich riesig. Er erzählte mir, dass er bei zwei Bauprojekten Vorarbeiter sei. In beiden Fällen „borongan“, das heisst: Für Material und Arbeit ist ein fester Betrag eingesetzt. Ist der Betrag zu hoch, ist der Vorarbeiter der Gewinner. Ist der Betrag zu niedrig, geht der Vorarbeiter, und oft auch die Arbeiter, fast oder ganz leer aus.
Ich rechnete mit ihm die beiden Projekte überschlagsmässig durch und sah, dass die Rechnung für ihn aufgehen sollte. Endlich ein einheimischer Freund, der genug für den Brotkorb hat, al hamdulila.
Zu früh gefreut.
Heute besprachen wir uns erneut. Beim ersten Projekt hat er zwei Monate gearbeitet, doch zahlt der Auftraggeber nicht wie vereinbart. Ma hat zwei Monate für null nix gearbeitet, gibt auf und verlässt das Projekt.
Rechtliche Schritte einleiten? Haha. Eine noch verrückterer Gedanke ist schwer vorstellbar. Wie soll eine arme Kirchenmaus vorgehen? Man muss zuerst zahlen, zahlen, zahlen. Wer wenig zahlt wird so schlecht bedient, dass es sich nicht lohnt. Wer leere Taschen hat, wird freundlich angehört um dann ebenso freundlich zur Türe gewiesen zu werden.
Das zweite Projekt ist erst eine gute Woche am Laufen. Da der Bauherr, in diesem Fall der Staat, denn es ist eine Schule, da der Bauherr nur alle zwei Wochen mit dem Geldbeutel kommt, muss Ma schauen, wie er zu einem Kilo Reis kommt, denn das erste Lohngeld wird erst in einigen Tagen kommen. Geld für Handy-Guthaben? Null da. Ein Vorarbeiter braucht aber Handy. Das Moped von Ma ist kaputt. Der Arbeitsweg ist 15km. Geld für Reparatur? Keins da. Ma könnte von einem Freund ein gut intaktes Yamaha Ding kaufen, für lumpige € 140.- Aber wie? Kein Geld da.
Wie die Familie ernähren? Es bleibt nur eins. Kredit. Der günstigste Bankkredit ist hier mit 2% Zinsen zu kriegen. 2% pro Monat. Normale Banken nehmen nur 8% Zins. Pro Monat. Der Sack ist fast ganz zu. Mit Kreditaufnahme ist der Anfang vom finanziellen Ende eingeläutet.
Ich habe in solchen Freundes Not Fällen bislang ausgeholfen. Fini. Geld aufgebraucht.
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Zweiter Fall. Nennen wir die Frau von der Nachbarinsel Su.
Aermste Verhältnisse. Da war kein eigenes Land. Der Papa schuftete auf der Farm eines Grossgrundbesitzers. Man hungerte nicht, aber das Dach war undicht und für Arzt oder so was Verrücktes war nie Geld da. Als Su 13 war, schlug eine liebe Nachbarin vor, Su könnte doch auf Bali Geld verdienen. Da gebe es viele viele Restaurants, und da mache man richtig gut Kohle. Die 13 jährige Su fuhr also mit der Nachbarin nach Bali. Dort war ein toller Club mit Billiard und allen Schikanen. In Kuta, wo denn sonst. Da waren lustige Bule’s, welche sich vergnügten. Prima. Was auch zum Laden gehörte: Das jüngere weibliche Personal hatte Spezialwünschen bedürftiger Bule’s willfährig entgegenzukommen. Su war sehr jung und sehr hübsch, und auch ohne dass sie entgegenkam wurde sie oft genommen.
Sie hatte:
Keinen Pass.
Kein Geld.
Keine Freunde.
Sie ist aber ein taffes Mädchen. Mit List und Geschick machte sie sich aus dem Staube und wurde von gütigen Seelen schwarz zurück auf ihre Insel gebracht. Dort allerdings hatte sich nichts gebessert. So entschied sich die Su zwei Jahre später, aus eigenem Antrieb wieder nach Bali zu gehen und dort bedürftigen Männern freundlich entgegenzukommen.
Sie war äusserst erfolgreich, und sie war leichtsinnig und dachte nix an ihre Zukunft. Jahrelang führte sie ein Leben zwischen Musik, Tanz, Saufen, diversen Aufputschern und liegend den Dollar rollen lassend. Sie litt nicht darunter, sie genoss ihr Leben. Aber eben. Sie verjubelte was reinkam umgehend. Also tat sie volle 20 Jahre lang, bis zum Alter von 35.
Mit 35 hatte sie das unverschämte Glück (gibt es nicht, sie hat sich das angezogen), einen Bule anzutreffen, der bei seinen Besuchen in sich steigerndem Masse fand, dass sie, die Su, wesentlich mehr Qualitäten hat, als sich genüsslich windend seine Sinne zu kitzeln. Die beiden kamen überein, dass sie bei ihm im Haushalt arbeiten möge, und innert Jahresfrist entwickelte sich das zu einer schönen Freundschaft, so dass sie ihre bisherige Tätigkeit ganz an den Nagel hängte und stattdessen Haus und Garten des Bule’s pflegte.
Sie hatte immer einen einheimischen Freund schon. Den heiratete sie, der Bule bezahlte den ganzen schweineteuren Bürokrimskrams, den der Gatte abzusolvieren hatte (haben sie den Bules gut abgeschaut), und weiterhin arbeitete und arbeitet sie beim Bulefreund.
Worauf ich aber hinweisen möchte: Dieser Bule meint es gut, er bezahlt sie so gut wie eine Bestangestellte, ausgebildete Serviererin in einem besten Hotel, nämlich mit um die €300.-/ Monat, obschon sie bloss etwa 60% des Ueblichen arbeitet. Und trotzdem reicht es nicht. Die Zähne der guten Seele sind durch den Lebenswandel ruiniert. Auch hierzulande kostet ein blödes Gebiss 500.-, eine gut gemachte künstliche Beisseinrichtung 3000.-
Der steinalte Papa der Su, der besitzt zwei Hemden, eine Mütze und zwei Paar Hosen, sonst nichts, doch, einen tüchtigen Golok (Schneidwerkzeug für alles). Er wohnt bei alten Freunden, die ihn durchfüttern. Su will das ändern, doch zu diesem Zwecke muss sie eine Wohnung mieten oder kaufen. Dafür ist auch der hohe Lohn, den sie einstreicht, nicht gross genug. Also durchwursteln.
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Zum Puff will ich ergänzen, damit das Bild gerade steht:
Wenige derer, welche nach Bali kommen, um das älteste Gewerbe auszuüben, haben den Erfolg von Su. Die Meisten kehren nach Hause zurück mit ebenso leeren Taschen wie zuvor.
Su hat die mildeste Form von Zwangsprostitution erlebt. Sie wurde von ihren Chefs nicht misshandelt. Die brutale Form von Zwangsprostitution findet an unzugänglichen Orten statt. Ich nehme an, beim Geldadel gibt es das auch in Bali. Ich nehme an, sage ich. Wenn, dann liegt es in der Natur der Sache, dass man davon nichts hört und sieht.
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Nun bin ich zu schwergewichtig auf die horizontale Sache rübergerutscht, doch im Fall von Su war das halt gegeben.
Der Fall von Ma ist es, der als repräsentativ betrachtet werden kann. Hierzulande gibt es eine dünne Oberschicht, eine dünne Mittelschicht und (Schätzung) 90% und mehr der Menschen stehen auf dem Level von Ma.
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Ja. Ich ergänze mit einem dritten mir ziemlich gut bekannten Beispiel.
Meine Nachbarn waren wohlsituierte und im Dorf einflussreiche Leute. Sie erwarben ihr Einkommen mit…im Meer wachsenden Pflanzen züchten, gewinnen, trocknen und an Kosmetikfabriken verkaufen. Damit war gut Geld zu machen.
Und sie erkennen die Zeichen der Zeit nicht, geben Geld im alten Stile aus.
Als ich ihnen mein Landstück abkaufte, waren sie im Begriffe, einen Haustempel zu bauen. Hindus brauchen einen Haustempel. Je teurer, desto günstiger besinnen sich die Götter. Sie bauten eine fesche Ausgabe für hier exorbitante 20’000 Euronen, mussten dafür aber einen Kredit aufnehmen. Den konnten sie mit dem Landverkauf wieder tilgen. Mit dem Landverkauf! Dir, lieber Leser, ist sofort klar, was das bedeutet: Den beginnenden Abstieg.
In der Tat. Sie haben zwei blitzgescheite, fantasievolle, herrliche Kinder. Weil die Allgemeinschule mies ist, besuchen die eine Privatschule. Kosten monatlich um die 80 Euronen / Monat. Das Geld dafür ist nicht da. Warum?
Weil Leute des weissen Geldadels die Küste mit riesigen Hotels verbauen. Die Einheimischen stehen eines Tages da und bekommen Bescheid, dass mit Meeressegen Ernten nun Schluss sei. Der Vater der Jungs stellt nun für einen Schei33lohn Sonnenschirme auf. Die Mutter, welche vormals am Strand den zählbaren Touristen Massage angeboten hatte, eben so. Fini. Verboten.
Die guten Leute wollen, dass ihre Kinder ihren Fähigkeiten entsprechende Berufe lernen können und machen was? Richtig. Sie nehmen Kredite auf (Zinsen siehe oben) um die Schulgelder zu berappen.
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Soweit ich blicke, verhungert in Indonesien niemand. Soweit ich blicke, sind sehr viele Menschen geschwächt und krank. Alte Heilmittel geraten in Vergessenheit. Die Errungenschaften des weissen Mannes stehen platschvoll in den Regalen, nichts, was als Nahrung dienlich ist. Man isst polierten Reis und Fabrikhuhn. Kinder mit schwarzen Zähnen. Sie werden von klein auf zuckersüchtig gemacht, wenn nicht mit Nestlé (Frau ist hier überzeugt, dass Nestlé besser als Muttermilch oder Reiswasser ist, sie ruinieren sich mit Kauf der teuren Ware), dann mit Zuckertee und all den Fabrikgetränken. An jeder Ecke hat’s einen Dokter Gigi, einen Zahnarzt. Um zum Zahnarzt zu gehen, verkauft man was immer nur geht oder man nimmt einen Kredit auf. Zinsen siehe oben. Unförmige Kinder auf dem Schulhof, noch vor 12 Jahren eine Seltenheit.
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Pessimismus? Nö. Feststellungen.
Die Menschen behalten ihre althergebrachte Gelassenheit weitgehend bei. Du kannst mit einem, der existenzielle Probleme bis über die Ohren hat, scherzen und lachen. Deutschschweizerisch sorgenvolle Verbissenheit gibt es kaum.
Die Sonne spielt eine Rolle. Mit Ausnahme von komplett Verwestlichten, welche sich nur noch in AC gekühlten vier Wänden über Tasten beugen, hat ein Grossteil der Menschen genug davon – trotz gelegentlicher Versuche, auch hier mit Trails die so notwendige Sonnenbestrahlung abzuschotten.
thom ram, 27.06.2015
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