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Jill – Opferdasein ade! 2

2. Folge aus: Colin Tipping: “Ich vergebe – Der radikale Abschied vom Opferdasein“

.

Dies war das Stichwort, auf das ich gewartet hatte. „Was ich dir

sagen will, klingt vielleicht etwas seltsam, aber warte bitte mit

deinem Widerspruch, bis ich ausgeredet habe. Bleib einfach offen

für die Möglichkeit, dass alles, was ich sage, stimmt; sieh, ob

es für dich am Ende Sinn macht.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte John zwar versucht, Jill zuzuhören,

doch das sich ständig wiederholende Gespräch über Jeff hatte

ihn allmählich gelangweilt. Am Ende hörte er ihr überhaupt

nicht mehr zu. Ich merkte jedoch, dass er nun plötzlich die Ohren

spitzte.

„Was du uns beschrieben hast, Jill, entspricht sicher der Wahrheit,

wie du sie siehst“, begann ich. „Ich bezweifle nicht, dass alles so

geschieht, wie du es erzählst. Außerdem hat John die Situation in

den letzten drei Wochen mit eigenen Augen gesehen und bestätigt

deine Version. Stimmt’s John?“, fragte ich meinen Bruder.

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„Absolut“, bestätigte John. „Es ist wirklich genau so, wie Jill sagt.

Ich fand das auch recht seltsam, und ich fühlte mich ehrlich gesagt

die ganze Zeit ziemlich fehl am Platze.“

„Kein Wunder“, sagte ich. „Jedenfalls sollst du wissen, Jill, dass

nichts, was ich gleich sagen werde, deine Geschichte verneinen

oder entkräften soll. Ich glaube, dass es genau so geschehen ist,

wie du es sagst. Ich will dich nur darauf aufmerksam machen,

dass unter der Oberfläche noch etwas anderes vor sich geht.“

„Was meinst du mit ‚unter der Oberfläche‘“, fragte Jill misstrauisch.

„Es ist völlig natürlich anzunehmen, dass das, was da draußen

ist, die ganze Wirklichkeit darstellt“, erklärte ich. „Doch möglicherweise

spielt sich hinter dieser Realität noch viel mehr ab.

Wir nehmen nur nichts weiter wahr, weil unsere fünf Sinne

dazu einfach nicht ausreichen. Das heißt jedoch nicht, dass es

nicht so ist.“

„Zum Beispiel in deinem Fall. Du und Jeff, ihr seid in dieses Drama

verwickelt. Soviel ist klar. Wie wäre es jedoch, wenn sich hinter

diesem Drama etwas abspielen würde, was spiritueller ist –

dieselben Menschen und dieselben Ereignisse – aber mit einer

gänzlich anderen Bedeutung? Wie wäre es, wenn eure beiden

Seelen denselben Tanz aufführen würden, jedoch zu einer völlig

anderen Melodie? Wie wäre es, wenn dieser Tanz sich um deine

Heilung drehen würde? Wir wäre es, wenn du das Ganze als eine

Gelegenheit zur Heilung und zum Wachstum sehen könntest?

Das wäre eine völlig andere Perspektive, oder?“

Beide, sie und John, sahen mich an, als käme ich von einem anderen

Stern. Ich beschloss, die Situation nicht weiter zu erklären,

sondern direkt zur Erfahrung überzugehen.

„Schau einmal auf die vergangenen drei Monate zurück, Jill“,

fuhr ich fort. „Was hast du hauptsächlich gespürt, als du sahst,

Teil I

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wie sich Jeff so liebevoll gegenüber seiner Tochter Lorraine verhält?“

„Überwiegend Ärger“, begann sie, dachte aber weiter nach. „Frustration“,

fügte sie hinzu. Dann, nach einer langen Pause: „Und

Trauer. Ich bin wirklich traurig.“ Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Ich fühle mich so allein und ungeliebt“, sagte sie und begann,

still zu schluchzen. „Es wäre alles nicht so schlimm, wenn ich

annehmen würde, dass er keine Liebe zeigen kann. Aber er kann

es, und er tut es – aber mit ihr!“

Die letzten Worte schrie sie fast, erregt und wütend. Zum ersten

Mal seit ihrer Ankunft verlor sie die Beherrschung und begann

zu schluchzen. Sie hatte vorher ein paar Tränen vergossen, aber

sie hatte sich immer beherrscht und nicht richtig geweint. Nun

konnte sie endlich loslassen. Ich freute mich, dass Jill so schnell

Zugang zu ihren Gefühlen gefunden hatte.

Ganze zehn Minuten verstrichen, bis sie aufhörte zu weinen und

ich das Gefühl hatte, dass sie sprechen konnte. An diesem Punkt

fragte ich: „Jill, kannst du dich erinnern, ob du dich jemals so

gefühlt hast, als du noch ein kleines Mädchen warst?“ Ohne einen

Moment zu zögern, sagte sie: „Ja“. Sie sagte nichts weiter,

also bat ich sie, es zu erklären. Sie brauchte eine Weile für die

Antwort.

„Mein Daddy wollte mir auch keine Liebe geben!“, platzte sie

schließlich heraus und begann wieder zu weinen. „Ich wollte,

dass er mich liebt, aber er wollte nicht. Ich dachte, er könne niemanden

lieben! Dann kam deine Tochter, Colin. Er liebte sie.

Aber warum konnte er mich nicht lieben? Verdammt noch mal!“

Sie schlug hart mit der Faust auf den Tisch, als sie diese Worte

herausschrie, und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Jill bezog sich auf meine älteste Tochter Lorraine. Zufällig hatten

sie und Jeffs älteste Tochter denselben Namen. Oder war es mehr

als ein Zufall?

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Zu weinen, tat Jill gut. Ihre Tränen lösten ihre Gefühle und waren

möglicherweise ein Wendepunkt für sie. Ich dachte, ein echter

Durchbruch könne nun nicht mehr weit entfernt sein. Ich

musste ihr nur noch ein paar Anstöße geben.

„Erzähl mir über den Vorfall mit meiner Tochter Lorraine und

Vater“, sagte ich.

Jill raffte sich auf und sagte: „Ich fühlte mich von meinem Vater

immer ungeliebt und hatte immer Sehnsucht nach seiner Liebe.

Niemals hielt er meine Hand, und nur selten nahm er mich auf

den Schoß. Immer hatte ich das Gefühl, dass mit mir etwas nicht

stimmt. Als ich älter war, sagte mir meine Mutter, mein Vater

könne niemanden lieben, nicht einmal sie. In diesem Moment

fand ich mich mehr oder weniger damit ab. Wenn er wirklich

niemanden lieben konnte, war es vielleicht nicht mein Fehler,

dass er mich nicht liebte. Er liebte wirklich niemanden. Er machte

sich nicht einmal viel aus meinen Kindern – seinen eigenen

Enkelkindern – geschweige denn aus Menschen, die nicht zur

Familie gehörten. Er war jedoch kein schlechter Vater. Er konnte

nur nicht lieben. Er tat mir leid.“

Sie weinte ein wenig mehr und nahm sich diesmal etwas mehr

Zeit. Ich wusste, was sie meinte, als sie von unserem Vater

sprach. Er war ein freundlicher und zartfühlender Mann, sehr

still und zurückgezogen. Er schien meist für niemanden emotional

zugänglich zu sein.

Als Jill sich wieder etwas gefangen hatte, fuhr sie fort: „Ich erinnere

mich an einen bestimmten Tag bei uns zu Hause. Deine

Tochter Lorraine war etwa vier oder fünf Jahre alt. Mom und

Dad waren aus Leicester zu Besuch, und wir alle kamen zu euch

nach Hause. Ich sah, wie Lorraine Dad an der Hand nahm. Sie

sagte: ‚Komm Opa, ich zeige dir den Garten und alle meine Blumen.‘

Er war wie Wachs in ihren Händen. Sie führte ihn überall hin

und redete und redete und redete und zeigte ihm alle Blumen.

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Sie umgarnte ihn. Ich beobachtete sie die ganze Zeit aus dem

Fenster. Als sie wieder hereinkamen, setzte er sie auf seinen

Schoß und war so verspielt und gut gelaunt, wie ich ihn niemals

erlebt hatte.“

„Ich war völlig niedergeschlagen. Also kann er doch lieben, dachte

ich. Wenn er Lorraine lieben konnte, warum dann nicht mich?“

Die letzten Worte waren ein Flüstern, gefolgt von vielen Tränen

voller Kummer und Trauer. Tränen, die sie all die Jahre aufgestaut

hatte.

Ich hatte den Eindruck, wir hätten vorerst genug getan, und

schlug vor, einen Tee zu machen. (Wir sind Engländer und trinken

bei jeder Gelegenheit Tee.)


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