bumi bahagia / Glückliche Erde

Eine kleine besinnliche Geschichte

Der Holzstoß

Das Dorf in dem Kathi lebte, war abseits der großen Städte, und die Bewohner pflegten eine eigene Denkweise, die von vielen nicht nachvollzogen werden konnte. Alle im Dorf waren glücklich, und die besten Handwerker und die tüchtigsten Frauen stammten aus gerade diesem Dorf.

Kathi turnte auf den Stämmen am Wiesenhang, dabei musste sich eine Sperre gelockert haben und nach und nach fingen alle Stämme an zu rollen. Im letzten Augenblick konnte sie noch zur Seite springen und stand nun da, musste zuschauen, wie der ganze Holzvorrat für den Winter den Hang hinunterpolterte und unten in den reißenden Strom fiel. Ein Stamm nach dem anderen. Es wurde ihr sofort klar, dass die kurze Zeit bis zum Winter nie reichen würde, um wieder ausreichend Holz für alle zu schlagen. Diesen Winter müssten sie alle frieren, vielleicht sogar erfrieren.

Kathi lief weg und versteckte sich. Sie wollte nie mehr nach Hause gehen. Ständig machte sie sich die größten Vorwürfe, dass sie trotz des Verbotes dort gespielt hatte. Selbst hätte sie auch schon so gescheit sein müssen.

Es war schon dunkel, als sie sich dann doch noch entschloss, heimzugehen und alles zu beichten.

Als sie sich dem Dorf näherte, sah sie schon von weitem, dass eine große Runde um ein Feuer saß und schweigend wartete. Ihr fiel das Herz in die Hosentasche. Zögernd ging sie weiter. Als man sie wahrnahm, erhob sich der Älteste der Runde und ging auf sie zu, umarmte sie und hielt sie eine Zeit schweigend fest in seinen Armen, dann sprach er:

Ich liebe dich und ich bitte dich, liebe auch du dich selbst!
Ich verzeihe dir und ich bitte dich, verzeihe auch du dir selbst!
Ich segne dich und ich bitte dich, segne auch du dich selbst!

Während er diese drei Sätze sagte, schaute er ihr fest in die Augen. Dann ließ er sie los und ging zurück in die Runde.
Von da kam nun schon der Zweitälteste auf sie zu, umarmte sie ebenfalls und sage zu ihr:

Ich liebe dich und ich bitte dich, liebe auch du dich selbst!
Ich verzeihe dir und ich bitte dich, verzeihe auch du dir selbst!
Ich segne dich und ich bitte dich, segne auch du dich selbst!

So ging es weiter, bis alle vierunddreißig Erwachsenen bei ihr waren. Dann wurde sie in die Runde der Erwachsenen gebeten. Es war das erste Mal, dass sie in dieser Runde sein durfte. Sie musste ganz genau erzählen, wie es sich zugetragen hatte. Dann wurde beraten.

Es wurde darüber gesprochen, dass es ein Fehler war, das Holz so dicht am Hang zu lagern, dass die Zeit bis zum Wintereinbruch viel zu kurz sei, um neues Holz zu machen. Dann wurde beschlossen, dass sich dieses Jahr alle auf das Gemeinschaftshaus im Dorfzentrum beschränken müssten. Dort sollten dann bei Kälte auch alle schlafen.

Die Absicht, für die sieben Häuser der sieben im Dorf lebenden Familien je eigenes Holz zu machen, wurde vollkommen aufgegeben.
Auch wurde immer wieder nach dem Geschenk gefragt, das wohl in diesem Vorfall versteckt sei. Andere fragten, was wohl die gute Seite an diesem Unglück sein möge.
Kathi hörte das wohl, konnte damit aber nichts anfangen. Sie war fürs erste froh, dass sie nicht geschimpft worden war.

Sie konnte sogar das Verzeihen der anderen annehmen und glauben, hatte es doch jeder einzelne mit aufrichtigem Herzen zu ihr gesagt: „Ich verzeihe dir …“
Aber der zweite Teil „… ich bitte dich, verzeihe auch du dir selbst!“, das fiel ihr so schwer, sie konnte es nicht; immer wieder machte sie sich selbst Vorwürfe.

Es war einige Zeit seit dem Vorfall vergangen, der Winter kam früher als erwartet und die großen Schneemassen hatten alles unter sich begraben. Der Holzvorrat war so knapp, dass er nur reichen konnte, wenn ganz sparsam damit umgegangen wurde. – Aber dieser Mangel war nirgends zu spüren.

Alle lebten nun im Gemeinschaftshaus und die Körper der Leute heizten mit, so dass auch bei kleinem Feuer eine angenehme Temperatur herrschte.
So einen schönen und lustigen Winter hatte es noch nie gegeben. Es wurde viel miteinander gesungen, gespielt, Geschichten erzählt und gelacht. Alle waren glücklich und immer wieder konnte man hören: „Gut, dass Kathi das Holz ins Wasser rollen ließ!“

Immer und immer wieder wurde dieser Umstand ganz besonders erwähnt und das gab Kathi die Kraft, ihre Selbstvorwürfe nach und nach aufzugeben. Sie sah und erlebte es, es war der schönste Winter ihres Lebens. Wäre das Holz nicht vernichtet worden, so hätten sie, wie all die Jahre vorher, getrennt, jede Familie in ihrem eigenen Häuschen, eingeschneit diese lange Zeit mit Handarbeiten und vor allem nur beschränkt auf die Familie verbringen müssen.
Wie herrlich ist doch eine so große Gemeinschaft.

Als sie die Selbstvorwürfe aufgeben konnte, fing sie auch an zu begreifen, was mit dem Geschenk in dem Unglücksfall gemeint war. Es war wirklich ein Geschenk, denn die Gemeinschaft hatte beschlossen, dass auch im nächsten Winter wieder alle im Gemeinschaftshaus leben sollten. Dadurch würden nicht nur die Winter schöner und kurzweiliger, sonder die Zeit konnte auch gut genutzt werden, um die Kleinen in die verschiedensten Handwerkstechniken einzuführen. Von den Männern wurde besonders freudig herausgestellt, dass sich nun die Zeit für das Schlagen des Winterholzes stark verkürzte. Statt vier Monate sind es nun nur noch drei Wochen. Sie sparen sich neun Wochen schwerste Waldarbeit – dank Kathi.

Seit dem Unglückstag durfte Kathi bei den Beratungen der Erwachsenen teilnehmen. Es gab immer wieder Situationen in denen in der Gemeinschaft etwas geschah, was auf den ersten Blick furchtbar war. Die Erfahrung und Denkweise der Gemeinschaft war es jedoch, dass überall ein Geschenk enthalten ist. Davon ist nun auch Kathi überzeugt. Es ist ihr zur Gewissheit geworden.

Meistens waren es junge Mitglieder der Gemeinschaft, denen ein Missgeschick widerfuhr. Wenn Kathi dann an der Reihe war, den Betroffenen zu umarmen, dann konnte sie mit ihrem Herzen, aus tiefster Überzeugung und mit ruhiger und fester Stimme ihre ermutigenden und liebevollen Worte sagen.

Dieser Brauch (dieses Ritual), den Verursacher vollkommen zu entlasten, wurde auch weiterhin gepflegt. Wenn es wieder so weit ist, geht auch heute noch jeder einzelne Dorfbewohner hin, drückt den anderen und sagt ihm diese drei Sätze.

Ich liebe dich und ich bitte dich, liebe auch du dich selbst!
Ich verzeihe dir und ich bitte dich, verzeihe auch du dir selbst!
Ich segne dich und ich bitte dich, segne auch du dich selbst!

nach Lena Lieblich

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mit vielem Dank für die Anregung an das Netzwerk Familien-Landsitz und die Familie Kin!

Luckyhans, 24.12.004


10 Kommentare

  1. haluise sagt:

    Hat dies auf haluise rebloggt.

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  2. haluise sagt:

    das ist nicht nur eine WUNDERSCHÖNE GESCHICHTE …ICH hab davon gehört mitten aus dem LEBEN …
    BIN LUISE

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  3. rechtobler sagt:

    So sollte es sein – gemeinsam statt einsam … verzeihen statt anklagen … Heute wurstelt doch jede/r irgendwie vor sich hin – genau so wie vor langer Zeit geplant … Grossfamilie: zerstört, Dorfgemeinschaft: zerstört, Vereinsleben: kaum mehr existent, Individualität: GROSS geschrieben – da ist heute Standard. Die Umkehr ruft, zurück zum Ursprung, Besinnung auf das Wesentliche!

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  4. luckyhans sagt:

    Allen stillen Lesern und lauten Kommentatoren möchte ich herzlichen Dank sagen für ihr Interesse und ihnen besinnliche Feiertage wünschen – meinen Weihnachtsgruß findet ihr hier: https://dudeweblog.wordpress.com/2016/12/24/europa-2016-die-dritte-kriegsweihnacht/

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  5. mkarazzipuzz sagt:

    Eine wunderschöne Geschichte in der Weihnachtszeit und fürs Leben?
    Ja, ich denke schon.
    Hab Dank
    Martin

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  6. palina sagt:

    danke für die schöne Geschichte.

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  7. Elena sagt:

    Wunderschön! Danke!

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  8. Elena sagt:

    Hat dies auf Eine Reise von tausend Meilen rebloggt und kommentierte:
    Eine wunderschöne Geschichte!

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  9. Piet sagt:

    Hallo Lucky,

    wunderschöne Geschichte. Habe ich sehr oft bei mir erlebt.

    Es drängt sich mir die Frage auf: Was ist der Segen des tatsächlichen und des gelügten Verlaufs unserer Geschichte, die alliierte Besatzung und die nordafrikanische Besetzung ? Der Millionen gewaltsam beendeten Leben ? Und wen sollen wir umarmen, wenn sie keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigen, nicht ans Feuer kommen ? Und sind die Stämme bei uns schon den Abgrund herunter gerollt oder kommt das noch ?

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  10. luckyhans sagt:

    zu Piet um 04:34
    Nicht jede Geschichte ist auch immer gleich eine Parabel auf die Menschheit… 😉
    Ab die Fragen sind schon richtig gestellt – vielleicht versuche ich bald eine Antwort… wenigstens auf eine davon. 😉

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