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ELTERN, KIND UND KINDERSTUBE – 82. VON 144 – Feinfühligkleit oder Containment für Affekte

Eckehardnyk, 26. November 2020

In welchem Verhältnis stehst du zu deinem Kind?

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An der Sprache läßt es sich erkennen. Du und alle, die Säuglinge auf die Welt gebracht haben, verhalten sich zu diesem, wie das, was viele „Gott“ nennen, zu den Menschen. Denn umgekehrt kann aus dem Geschrei der Kleinen ermessen werden, wie sie allein gelassen sich vorkommen.

Niemand hört und versteht sie, weil niemand in ihrer Haut steckt, in der es schabt und juckt und zwängt. Solltest du das oben (81. von 144) beschriebene Experiment einmal wagen, achte darauf, daß du ungestört bleibest. Du brauchst ungefähr eine dreiviertel Stunde, in der du keine anderen Gedanken zulässt, als die deines weinenden Kindes. Und die übertragen sich auf dich ebenso, wie deine Gemütslage sich mit deiner Stimme schon auf die Frucht im Bauch übertragen hatte. Du wirst dir eine bequeme Lage zu deinem Kind aussuchen, aus der du nicht aufstehen musst, und fängst an, die Klänge sich anzueignen, deren kind sich bedient. Beim Weinen ist da ja aufs erste Hören hin noch wenig zu unterscheiden. Je länger du aber hinhorchst und quasi in sein Stimmchen kriechst, desto mehr Nuancen wirst du entdecken.

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Auf einmal erscheint es dir ganz natürlich, daß es schreit. Du bekommst ein Verhältnis auf gleicher Ebene. Du bist wie ein Gott, der auf die Welt der Menschen gekommen ist. Glaube deshalb nicht, daß du sofort mit Freude begrüßt werdest. Wahrscheinlich kommt es schlimmer. Das Mitmischen wirkt wie ein Verstärker. Aber halte durch! Irgendwann entdeckst du, was dein Baby schreit, indem du untersuchest und ausprobierst, wie es schreit! Es wird ein Gedanke sein, der aufblitzt, ein Gefühl, das dich einnimmt. Weine weiter mit und staune darüber, wie schön „Unverstandensein“, „Durst“, „Furcht“, „Einengung“ oder „Hunger nach Nahrung oder Abwechslung“ ist, wenn man es brüllen darf! Sieh die Veränderung auch in deiner Einstellung dem Gebrüll gegenüber. Früher warst du ratlos, machtlos, verunsichert, verängstigt; jetzt sagst du dir in Ruhe: Es darf brüllen, schreien, weinen nach Herzenslust, denn darin findet es sich wieder. Das habe nichts gemein mit der „pädagogischen“ Attitüde von „die Babys schreien lassen“; denn dabei bliebest du außen vor. In unserem Experiment bist du mitten drin und weißt, was geschrien wird. Je nach dem kannst du auch entscheiden, ob sofortige Abhilfe nötig und möglich oder wie anders damit umzugehen sei. Als containment bezeichnet dies die Bindungsforschung und tröstet uns mit Feinfühligkeit in deutscher Entsprechung.

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Häufig erleben Eltern, daß ein anhaltend schreiendes Baby auf den Arm genommen sich beruhigen lässt, aber diese Ruhe nicht allzulange hält, sondern das Gebrüll um einiges stärker, ja sogar wie wütend wieder losgeht. Das ist dann der Punkt, wo ihr als Eltern ruhig bleiben solltet. Denn was habt ihr gemacht, indem ihr das Kind auf den Arm genommen habt? 1) Ihr habt es unterbrochen, es war noch längst nicht fertig mit dem, was es zu „sagen“ hatte. Ein guter Rat sei deswegen, nichts zu unternehmen, was bloß auf Abstellen des Geschreis 2) hinausläuft. Euer Kind merkt das blitzschnell und wird tatsächlich wütend, weil es erstens in seiner „Grundaussage“, also was es zu schreien hat, nicht verstanden wird, und zweitens, weil es bei diesem nicht gerade energieschwachen Unternehmen einen Abbruch hinnehmen muß, was schon wie eine Beleidigung wirken kann.

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Das, was Schreien auslöst, muß (für das Kind) als „fremd“ oder „Feind“ angesehen werden. Diesem gegenüber muß der kleine Schreihals sich als stark empfinden, und das Mächtigste, was ihm zur Verfügung steht, ist vom ersten Atemzug an seine Stimme. Mit ihr überragt er bei weitem den winzigen Umfang seiner natürlichen Leibeshülle. Also erlaubt ihr ihm diese Abwehr, die Ausdruck seiner Stärke ist. Hat sich mal jemand von euch das „Mitschreien“ zugetraut, dann erfasst er oder sie auch ohne den Einsatz von eigener Stimme künftig intuitiv, was da aktuell im Kinderbettchen schreiend abgewehrt und ausgedrückt werden soll. Geschrei ist das erste „Wort“ des Erdenmenschen. Hieß es nicht: Im Anfang war das Wort? Es war ein Schrei!

1) Der Doppelsinn im Deutschen wird hier offenbar, obwohl ihr nur den Einen im Sinn hattet.

2) Aufs Abstellgleis schieben.

(c) eah 13. Januar 1999 und 25. November 2020


2 Kommentare

  1. n00me sagt:

    „Hieß es nicht: Im Anfang war das Wort? Es war ein Schrei!“

    Ein Schrei ist kein Wort, sondern ein sogenannter Ausruf, habe ich erbsenzählmäßig zu bekritteln bei dem ansonsten mich recht zuträglich ansprechenden Essay über Befindlichkeiten von heranwachsenden Kindern das und mehr oder weniger gutes Einfühlungsvermögen von ausgewachsenen Kindern.

    Es steht ja auch noch weiter geschrieben, daß das Wort im Anfang bei Gott war (also gleichwertig neben Gott) und es steht nicht geschrieben, dass im Anfang der Ton da sein gewesen muss, in Sinne von Klang/Frequenz, den ohne tönen gibt ’s keine Worte nach meinen Beobachtungen und nach denselbigen lernt man erst schreiben, nachdem man sprechen gelernt hat.

    Tut mir leid, dass ich immer wieder mit Korinthenkacker-Kritik nerven muss, doch ich glaube zutiefst, dass im Detail der Teufel als auch die Kraft der Schönheit steckt

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  2. eckehardnyk sagt:

    Ich habe mir es versagt, dieses letzte 1999 geschriebene Wort, Schrei, etwa in RUF zu ändern. Im griechischen Urtext steht LOGOS. Damit ist alles gemeint, was Schöpfung verursacht. Wir waren alle dabei, sonst könnte ich das nicht sagen. Außerdem hat n00me physikalisch recht, denn ein Ton im heutigen Sinn gab es erst nach dem ersten Gewordenen. Also ein stummer Schrei, wie auf dem Bild von Edvard Munch. Gemeint ist in dem Essay grundsätzlich ein Versuch, dahinter zu kommen, was ohne im Wörterbuch nachschlagen zu müssen, in einer wesenhaften Lautkundgebung gedanklich als Wirklichkeit zu ermitteln ist. Natürlich geht das auch bei Tierrufen.

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