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Die Schau muß abgehen

Diesen Satz kennt wohl jeder: „die Schau muß (so richtig) abgehen“ – allerdings in der anglophilen Ausführung: „Show must go on“ – spätestens seit dem selbigen Queen-Hit.
Er bedeutet ebenso: „diese Schau muß weitergehen“.
Von letzterem kennen viele die klassische Variante: „Der König ist tot – es lebe der König.“
„Go on“ bedeutet aber auch „dahingehen“…

Daß wir in dieser Welt in einer grandiosen Gesamt-Show gehalten werden, dämmert immer mehr Menschen.
Die Frage kann also nur sein: welches von den vielen Schauspielen meint er denn jetzt?
Oder etwa das Ganze?

Nicht doch – das Große Theater (nein, nicht das „Bolschoj Teatr“ in Moskau – das Welt-Theater ist gemeint) kann nur erkennen, wer die kleinen Schauspielereien schon wahr- und also nicht mehr ernstnimmt.
Versuchen wir es heute (wieder mal) mit einem „ganz gewichtigen“ Thema, das ja angeblich unser politisches Sein bestimmt: die Wahlen.

Der Präsidenten-Wahlkampf in Rußland wirft seine Schatten voraus, und da ja auch hierzulande bald wieder eine Wahl-Show ansteht, ist es ganz interessant, die engen Parallelen und die himmelweiten Unterschiede an beiden Schauveranstaltungen zu beobachten.
Zu einer solchen Betrachtungsweise laden wir heute den Leser ein.

© für die Übersetzung aus dem Russischen by Luckyhans, 28. Juni 2017 –
Kommentare und Hervorhebungen wie immer von uns.
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Putin zwischen Glasjew und Kudrin

18. Juni 2017 – 17:13 – Autor: Аlexander Chaldej

In Rußland nähern sich die Putin-Wahlen, und bei Putin nähert sich die Wahl des weiteren Weges für Rußland.

So hat es sich ergeben, daß diese (letztere) Wahl in den Persönlichkeiten von Kudrin (der für ein streng neoliberales Wirtschaftsprogramm der Hinführung Rußlands in die Krallen der Globalisierer steht) und Glasjew (dessen Wirtschaftsprogramm eher einen national-staatlich gelenkten Kapitalismus beinhaltet, ähnlich wie er in Deutschland in den 1930er Jahren von den Nasos praktiziert wurde) verkörpert ist.
Deren Programme sind allen bekannt, daher brauchen sie hier nicht beschrieben werden.
(es gibt im Netz hinreichend Material zu beiden Programmen, meist in russisch oder englisch, darunter Vorträge mit entsprechenden grafischen Darstellungen, die auch ohne detaillierte Übersetzung verständlich sind)

auf dem Foto links Kudrin, rechts Glasjew – die Programme sind eher umgekehrt, wenn man die veralteten Sortierungen benutzen wil

Es existiert eine riesige Armee ehrlicher aber dümmlicher Patrioten, die sich das Hemd auf der Brust aufreißen, wenn sie beweisen. daß Putin genau das sagt, was er denkt.

Und nicht weniger riesig ist die Armee der Patrioten, die – ein wenig klüger – schweigt und kapiert hat, daß Putin NIEMALS das sagt, was er denkt – denn er ist ein Profi-Politiker.

Und Politiker sind noch weniger ehrlich als Geheimdienstleute.
(im Russischen verstehen die meisten darunter den positiv besetzten Begriffsinhalt des „Aufklärers“, oder „Kundschafters“ – im Deutschen wohl öfter den eher negativ besetzten „Spion“ oder „Agent“ – im weiteren wird das neutrale „Geheimdienstler“ verwendet).
Nicht umsonst führen die Politiker die Geheimdienstleute und nicht umgekehrt.
(diese Behauptung lassen wir mal so stehen, obwohl sie zumindest im Westen sehr zweifelhaft ist)

Vor kurzem erzählte Putin dem Oliver Stone, daß die Glasjewsche Herangehensweise an die Reformen von den Machthabern niemals ernsthaft angenommen werden wird.
Auf die Frage „Wozu brauchen Sie dann den Glasjew?“ antwortete Putin: „Für einen anderen Standpunkt.“
Die Frage „Wozu brauchen Sie einen anderen Standpunkt, wenn Sie vorab nicht mal bereit sind, diesen ernsthaft zu erwägen?“ wurde nicht gestellt, da die Antwort offensichtlich ist: “Heute bin ich nicht bereit, aber keiner weiß, was morgen sein wird.“

Deshalb ist die Antwort Putins ein Zeichen an die herrschende Synode der Liberalen: „Keine Aufregung, ich bin mit euch“.
Und gleichzeitig ein Zeichen an die Spalter-Truppe der Patrioten: „Im Geiste bin ich mit euch, verliert nicht die Hoffnung, Küßchen, stets der eure – Putin“.

Ich persönlich habe zu Putin dieselben Vorbehalte wie Glasjew. Und ich bin mir völlig im Klaren, daß ich bei den herannehenden Wahlen irgendeine Wahl treffen werde.
Sogar wenn ich nicht zur Wahl gehe oder den Wahlzettel ungültig mache, ist das auch eine Wahl.

Putin wählen, der Glasjew als Möbel hält, aber für die Ausarbeitung das Programm von Kudrin zugrunde legt – selbst mit den Änderungen von Titow – will ich nicht.
Ich will nicht Glasjew mit Kudrin verwässern. Das wäre wie den Wein mit Urin zu strecken, oder Honig mit Kacke. Solch eine Balance brauche ich nicht. Das sollen die trinken, denen das gefällt.
(nach meinem Eindruck sind die beiden Programme im Grundsatz derart verschieden, daß es gar keine „Kompromiß-Lösung“ geben kann – die „Aufregung“ hier ist also eher Rhetorik)

Aber ich verstehe ausgezeichnet, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein beliebiger Angriff auf Putin unter den Umständen, da seine Figur als Präsident alternativlos und den VSA verhaßt ist, einen Angriff auf Rußland in seiner Staatsform bedeutet, auch wenn diese schädlich-bourgeois und oligarchisch-halbliberal ist.
Daher werde ich meine Putin-Kritik korrigieren – nicht weil ich bereit bin, Putin als Vertreter der gemäßigten Liberalen zu akzeptieren, sondern weil es einfach keinen anderen Kandidaten gibt.
Ich werde nicht für die Amerikaner wirken in ihrem Bestreben, Putin zu stürzen. Daher werden ich den Amis nicht das geben, was sie so wollen. Je mehr sie Putin stürzen wollen, desto mehr werde ich ihn verteidigen.

Man kann doch nicht Sjuganow wählen, um Gottes Willen. Wenn ich für die älteste und erfahrenste politische Prostituierte stimmen wollte, dann würde ich zweifellos Sjuganow wählen – er ist mir näher als Zhirinowski, der in der Kunst der politischen Liebe zum Geld härter ist als Sjuganow.
Aber Sjuganow ist mir doktrinär näher, deshalb würde ich ihm den Hauptpreis des am meisten geehrten Mädels des russischen politischen Bordells überreichen.
Den Preis für die jünste Prostitutierte werde ich an Nawalny vergeben. Er kennt noch nicht alle Techniken des Kamasutra. Soll er erstmal lernen von den Älteren.

Allerdings sind Wahlen im Bordell nicht das, was ich für Rußland will. Der Wettbewerb der Prostituierten für den Posten des Präsidenten der Ukraine hat mich da hinreichend mit dem Verständnis einer solchen Wahl gesättigt.
Deshalb bin ich gezwungen, das kleinste aus den gegenwärtig verfügbaren Übeln zu wählen – Putin.
(eine interessante Aussage, nicht wahr? gar nicht zur Wahl zu gehen steht plötzlich nicht mehr zur Debatte, es geht nur noch um „das kleinste Übel“ – ein Standpunkt, der schon sooo oft in der Geschichte zu den allerschlimmsten Folgen geführt hat…
Und nochwas ist sehr bezeichnend: daß auch in Rußland – wie überall – lauter eigentlich nicht annehmbare Schein-Alternativen zur Wahl angeboten werden: egal was du wählst, es wird immer „einer von uns“ am Hebel sitzen – interessant, nicht?)

Er ist in diesem Bordell Zuschauer, und zwar ein ungewollter und skeptisch angewiderter. (????)
Das ist meine Position als Sozialist, genauer als linker Zentrist. Das Schicksal Putins heute ist das Schicksal Rußlands. Nicht mehr und nicht weniger.
Er kann sich nirgends auf der Welt vor der Rache der Mitkämpfer verstecken.

Ich verstehe bestens, daß Putin – an die Macht gekommen – nicht den Kurs von Glasjew und Prochanow durchführen wird. Putin war, ist und bleibt stets ein Halb-Patriot-Halb-Liberaler. Und er wird immer danach streben, sowohl diesen wie auch jenen Anlaß zu geben, ihn für einen der ihren zu halten.
Aber da in Rußland und in der Welt die Liberalen herrschen, wird Putin einen liberalen Kurs einschlagen, mit kleinen Abweichungen zur Berücksichtigung der Meinung der Patrioten.

Genauso verstehe ich bestens, daß für den Kurs der Patrioten Putin nicht geeignet ist. Den Patrioten-Kurs wird ein anderer Politiker durchziehen, ein Aufstiegskandidat einer anderen politischen Klasse – nicht jener, welche Putin hervorgebracht hat und unterstützt.
Aber einen solchen Politiker gibt es noch nicht. Und eine solche herrschende Klasse auch noch nicht. Wir haben das, was da ist – HERRSCHENDE LIBERALE und Putin zwischen Kudrin und Glasjew.
Und eine Wahl müssen wir morgen treffen, weil keine Zeit mehr ist.

Daher wähle ich Putin – im vollen Verständnis aller Folgen dieser meiner Wahl.

Ich halte meine Wahl nicht deshalb für richtig, weil ich Illusionen zu Putin und zu seinen möglichen Wegen von einem gemäßigt-liberalen Saulus zu einem patriotischen Paulus habe. Eine solche Metamorphose erwarte ich von Putin nicht – wie Mark Twain sagte: einem alten Hund kann man keine neuen Kunststücke beibringen.
Es gibt einfach ein Motiv „für“, das bei mir alle sonstigen „gegen“ überwiegt.
Putin braucht zum Überleben ein effektives Wirtschaftssystem, die Liberalen nicht.

Und Putin wird einfach gezwungen sein, das System zu verändern. Über alle „ich kann nicht“ und „ich will nicht“ hinweg.
Warum braucht Putin dies?
Weil die Liberalen sich für alles im Westen freikaufen können und dorthin abhauen, aber Putin kann das nicht.
(eine hinreichend naive Vorstellung, was die westliche „Gastfreundschaft“ für abgehalfterte russische Politiker betrifft – „Garbage-shov“ möge man da bitte nicht als Maßstab nehmen, der hat schließlich ein ganzes Imperium hergeschenkt, und solch eine „Chance“ kommt so schnell nicht wieder, denn aufbauen ist nun mal mühseliger und zeitraubender als zerstören – und der Westen liebt zwar sehr den „kleinen“ Verrat, aber NIE den „kleinen“ Verräter: man kann das gut erkennen am Umgang mit den nach London geflohenen russischen „Oligarchen“ – entweder sie funktionieren weiter wie gewünscht wollen, wie Chodorkowski, oder sie werden ermordet oder „rechtsstaatlich“ abkassiert, wenn sie nur noch ihr Errafftes „genießen“ wollen, wie Beresowski und andere.
Und das ist eine Erkenntnis, die noch sehr vielen Reichen dieser Welt bevorsteht: daß auch sie für die wahrhaft Mächtigen nur Werkzeug und Verfügungsmasse sind, wenn es hart auf hart kommt)

Er kann nirgendwohin abhauen. Und deshalb muß er sein liberales Lied abwürgen und sich mit kleinen Schritten in Richtung der Patrioten bewegen.
Von Kudrin zu Glasjew. Ungewollt und ohne besondere Freude. Aber es muß sein. Wenn er einfach im Alter am Leben bleiben will.

Die Liberalen versprechen ihm eine solche Perspektive nicht. Das können nur die Patrioten ihm geben. Sie werden Putin nicht an Amerika verraten.
Die Liberalen werden ihn nicht nur verraten, sie werden um die Wette danach streben, Putins Kopf auf dem Tablett zu überreichen, wie Salome den Kopf von Johannes dem Täufer der Herodias auf deren Forderung hin übergab.

Putin schwankt noch und weiß nicht, in welchen Proportionen er Kudrin und Glasjew mischen soll, damit man sich an dem Cocktail nicht vergiftet.
Mir ist klar, daß wir keinen anderen Putin haben und in den nächsten 6 Jahren haben werden. Und daher wähle ich Putin in der Hoffnung, daß in dieser Zeit ein anderer konsequenterer Politiker im Lager der Patrioten auftaucht.
(wunderbar – es soll wieder einer kommen und die Sache für alle richten – oh Mannomann)

Noch ist keiner da. Noch weiß Putin nicht, was auswählen – ich denke, ich weiß es.
Ich wähle den wählenden Putin.
Und er soll das auswählen, was für ihn im Moment der Wahl das passendste ist.
(jawoll, die totale Unterwerfung unter alles, was getan werden wird – toll, oder?)
Denn morgen kann sich das alles verändern und Putin muß sich von seiner Wahl distanzieren und in die andere Richtung gehen.
Die Wahl zwischen Kudrin und Glasjew kann überhaupt zugunsten eines Dritten ausgehen, den wir noch nicht kennen.
(wo soll der plötzlich herkommen?)
Aber in jedem Falle – sogar im Falle einer Fehlers – wird diese Wahl in Richtung der Entwicklung Rußlands gehen. Denn Fehler werden berichtigt werden und die Bewegung wird korrigiert und fortgesetzt werden.
(richtig – seid alle schön brav und obrigkeitsfürchtig – es wird schon alles zu eurem Besten geregelt werden…)

Quelle

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Ein „schönes“ Plädoyer an die russischen Patrioten, zur Wahl zu gehen und doch Putin zu wählen – offensichtlich haben viele von denen schon erkannt, daß er sehr stark unter den Zwängen der allgemeinen liberalen Lehre und deren realer Machthaber steht, und suchen nach Auswegen.
Mir scheint, daß er ziemlich sicher gewählt werden wird, weil es tatsächlich keine einzige seriöse Alternative gibt – das andere sind alles Kasperle-Figuren.

der Kater: „He, was ist, bist du nun beleidigt?“ – Pinoccio: „Verdammtes Moskowien!!!“

Der „gewendete“ Kommunist Sjuganow ist der „intelligente“ Kasper für die Rentner, die den Sowjetzeiten nachtrauern und diese zurückhaben wollen – was freilich völlig unrealistisch ist, aber zur Zeit noch „bedient“ werden muß.
Zhirinowski ist der „harte“ Kasper für das mittlere Alter, für alle Hurra-Patrioten, die gern auch in einem Imperium leben wollen – egal wie dieses konkret aussieht.
Nawalny ist der „dumme“ Kasper für die Jugend, die inzwischen derart westlich verblödet ist, daß sie seinen von vorn herein unhaltbaren Versprechungen tatsächlich glaubt – es sei nur daran erinnert, daß sie wirklich die von ihm versprochenen 10.000 Euro (kein Druckfehler, nicht eintausend) für die Teilnahme an seiner Demo in Falle einer Verhaftung einfordern wollten…

(Fortsetzung)


4 Kommentare

  1. haluise sagt:

    Hat dies auf haluise rebloggt.

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  2. Hat dies auf Treue und Ehre rebloggt.

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  3. Vollidiot sagt:

    Ähnlichkeiten mit BRDien sind rein zufällig.
    Für die Jugend der 3Tagebartlindner.
    Der Güsi für die alten DDR-Fäns.
    Für die Reaktionären und Halbnpdler die AfD.
    Für die Zeitleser der Ötzi
    Die Nwoler nehmen die Urfabianisten.
    Die Wertgläubigen nehmen den Jesuitenableger.
    Die Patrioten bleiben zuhause oder in der JVA.

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  4. […] hatten – unter dem Motto „diese Schau muß ab- und weitergehen“ – begonnen mit einer Betrachtung zu „dämon-archischen“ Wahlen im allgemeinen und zur russischen Präsidentenwahl im Besonderen. […]

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